Eure Kinderwunsch-Geschichte IX: Ich habe zwei Kinder. Eins an der Hand und eins im Himmel.

Ein Text von Julia Bahr.

Vorweg möchte ich sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, als Josephine in Ihrer Instagram Story erwähnte, dass sie sich dem Thema unerfüllter Kinderwunsch annehmen möchte und jemanden suche, der einen Gastbeitrag auf ihrem Blog schreibt. Ich meldete mich sofort bei ihr, wollte meine Geschichte erzählen, Mut machen, aufklären, aber auch darauf aufmerksam machen, dass es nicht immer so einfach ist. Als Josephine mich dann tatsächlich anschrieb und fragte, ob ich einen Gastbeitrag auf ihrem Blog veröffentlichen möchte, freute ich mich wirklich sehr. Mir bedeutet es viel diese Plattform zu bekommen, unsere Geschichte erzählen zu dürfen und hoffentlich anderen Paaren mit Kinderwunsch wieder Hoffnung zu geben. Wo soll ich nur anfangen?

Unsere Kinderwunschreise beginnt

Ich lernte meinen Mann 2012, relativ spät, mit 29 Jahren, kennen und lieben. Man sagt ja oft, wenn man sich erst spät kennenlernt, geht alles ganz schnell. Schnell heiraten, schnell Kinder bekommen. Das stimmte bei uns nur zum Teil. Im Oktober 2014 heirateten wir. Das war der schnelle Teil. Der schleppende Teil begann im Jahre 2015. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, in unserem Holland-Urlaub im November. Ganz genau am 01.11.2015 fragte mein Mann mich, ob wir auf die Verhütung verzichten sollen, um uns auf die Kinderwunschreise zu begeben. Das war für mich ein riesiger Moment! Die Freude war immens. Ich meine: Bald würde ich ein Baby haben!

Zwar nicht wie früher immer gewünscht mit Mitte Zwanzig, aber mit meiner großen Liebe mit Mitte dreißig. Das war alles was zählte. Die Pille nahm ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, da ich sie nicht so gut vertragen hatte. Alles wurde von jetzt auf gleich anders. Man verhütete nicht mehr und jedes Mal nach dem Sex dachte man, dass es vielleicht schon geklappt hat. Eine wahnsinnig aufregende Zeit. Meine Frauenärztin war informiert und sagte, wir sollen es langsam angehen lassen und uns nicht stressen. Das einzige, was sie mir mit auf den Weg gab war, dass ich bei meinem Hausarzt meine Schilddrüse einstellen lassen sollte, da ich eine Schilddrüsenunterfunktion habe. Gesagt, getan. Schwangerschaftsvitamine nahm ich von Beginn an. In Kombination mit der eingestellten Schilddrüse war für mich klar, dass es jetzt so langsam funktionieren müsste.

Als nach einem halben Jahr immer noch keine Schwangerschaft eintrat, begab ich mich erneut zu meiner Frauenärztin. Sie beruhigte mich und sagte, dass ein Jahr Wartezeit ganz normal sei. Wie ich diesen Spruch hasste. Alle um mich herum wurden schwanger und dass innerhalb kürzester Zeit. Außerdem möchte man das auch nicht hören, wenn man den großen Wunsch hat, ein Kind zu bekommen. Jeder negative Test, egal in welchem Zeitraum, schmerzt. Des Weiteren empfahl sie mir My NFP, einen Kalender zur natürlichen Familienplanung, basierend auf der symptothermalen Methode und Myoinositol Kapseln. Ich war hochmotiviert: jeden Morgen Temperatur messen, den Eisprung ermitteln, um den Zeitpunkt herum Geschlechtsverkehr haben und schwanger werden. So leicht. So meine Fantasie. Ich weiß noch, wie ich dachte, „Sex nach Kalender, verrückt“, andere brauchen das bestimmt nicht. Ich lernte meinen Zyklus dadurch aber tatsächlich besser kennen. Ich merkte schnell, dass ich immer relativ frühe Eisprünge hatte, oft schon an Zyklustag 10 oder 11. Und dass trotz eines immer geregelten Zyklus von 30 Tagen mit einer Periode von meist 5-7 Tagen. So konnten wir uns also dank der Methode besser auf den richtigen Zeitpunkt einstellen. Wir taten alles, alles was Freunde, unsere Ärztin und Google uns sagten.

Und dann mussten wir uns von unserer kleinen Blaubeere verabschieden.

Kinderwunschgleitgel, Ovulationstest usw. Im Februar 2017 testete ich dann tatsächlich zum ersten Mal positiv. Oh man, ich hatte es geschafft! Die Freude war so groß.

Und ich wünschte sehr, ich könnte an dieser Stelle was anderes schreiben. Aber unsere Reise war noch nicht vorbei. Ich erlitt eine frühe Fehlgeburt und musste mich von unserer Blaubeere verabschieden. Die Ärzte im Krankenhaus stellten feste, dass das Herz nicht mehr schlug. Es war einer der schlimmsten Momente meines Lebens. Mein Mann und ich waren am Boden zerstört. Nach einigen Tagen erfolgte die Ausschabung und wir versuchten etwas Abstand zu gewinnen, um das Ganze zu verarbeiten.

Unser Weg in die Kinderwunschklinik

Im Frühjahr habe ich meine Frauenärztin erneut aufgesucht. Sie beharrte weiterhin darauf, dass alles ganz normal sei. Also die Zeit, die wir mit dem Kinderwunsch bisher verbrachten und auch, dass eine Fehlgeburt leider ganz normal sei. Ich wollte das aber nicht mehr. Ich war deprimiert und enttäuscht, wütend auf die ganze Welt. Ich sagte ihr also, dass es so nicht weiter geht. Wir bräuchten Hilfe und ich möchte eine Überweisung in die Kinderwunschklinik haben. Im Nachhinein finde ich es immer noch sehr traurig, dass ich diejenige war die diesbezüglich recherchieren musste. Dass ich mich kümmern musste. Sie war schließlich vom Fach. Wieso empfahl sie mir es nicht schon längst? Vielleicht stimmte doch wirklich was nicht mit mir?

Vier Monate später hatten wir endlich einen Termin. Die Wartezeit bis zu dem Termin hat mich fast wahnsinnig gemacht. Damals schon empfand ich das Geräusch meiner tickenden Uhr als quälend. Mein Mann munterte mich auf. Er unterstütze mich, wo er konnte und redete mir immer gut zu. Es war mein Fels in der Brandung. Bei unserem ersten Termin wurden uns sehr viele Fragen gestellt. Auf Basis der Antworten stellte die Ärztin einen Fahrplan auf. Das mochte ich gleich. Einen Plan, eine Liste, das hörte sich gut an. Bei mir sollte ein Hormonspiegel gemacht werden. Ich sollte außerdem regelmäßig zur Zykluskontrolle kommen und einen Diabetologen aufsuchen. Mein Mann wurde zu einem Urologen geschickt.

Nach einigen Wochen und regelmäßigen Terminen in der Kinderwunschklinik standen die ersten Ergebnisse fest. Mein Mann war kerngesund, die Spermienqualität super. Bei mir sah es dagegen ganz anders aus. Ich war mal wieder am Boden zerstört. Eine Insulinresistenz, die mit Metformin behandelt werden sollte. Mir war ja klar, dass ich Übergewicht habe, aber das mein Stoffwechsel nicht richtig funktionieren sollte? Damit rechnete ich nicht. Die schlechten Hormonwerte und die fast aufgebrauchte Eizellreserve trugen ihren Rest dazu bei. Zusätzlich Progesteronmangel. Man hat uns empfohlen, noch einen Kontrollzyklus zu machen, in dem uns genau gesagt wird, wann wir Geschlechtsverkehr haben sollten, um eine Befruchtung zu erzielen. Wenn das aber nicht funktioniere, alsbald eine IVF durchführen zu lassen. Ich war am Boden zerstört. Wie konnte das sein, warum ich?

Mittlerweile weiß ich, dass ich damit nicht allein bin. Eine von sieben Frauen ist ungewollt kinderlos. Ein grausames Schicksal.

Und dann wollten wir einfach mal abschalten. Und ich wurde schwanger.

Mittlerweile war es Herbst 2017. Wir genossen unseren Dänemark-Urlaub in vollen Zügen und versuchten einfach mal abzuschalten. Der zuletzt geplante Kontrollzyklus blieb erfolglos und bevor wir eine künstliche Befruchtung planen wollten, hatten wir uns fest vorgenommen, noch einmal durchzuatmen und uns den Wind um die Ohren brausen lassen. Mein Zyklus, und auch unser Dänemark-Urlaub, neigten sich dem Ende zu. Natürlich, wie so oft zuvor, war ich dennoch vorbereitet und hatte einen Schwangerschaftstest mit in den Urlaub genommen. In der ganzen Kinderwunschzeit gab es kaum einen Zyklus, in dem ich nicht getestet habe. Ich musste nur einen Tag überfällig sein, da keimte die Hoffnung schon auf. Man redete sich immer ein, man solle ruhig bleiben und einfach mal abwarten, aber das funktionierte meist nicht so gut.

Und dann der Schock, der Test war positiv. Ich habe es kaum glauben können. Mein Mann auch nicht. Wir waren einfach sprachlos. Hatten aber gleichzeitig auch wahnsinnige Angst, dass wieder etwas schiefgeht.

Leider war es dann auch so, einige Wochen später bekam ich Blutungen und verlor das Baby. Ich greife mal vorweg.

Nun die IVF: Tägliche Hormonspritzen und Tabletten

Im Mai 2018 probierten wir es mit einer IVF. Tägliche Hormonspritzen und Tabletten. Ich bereitete meinen Körper vor. Alles nach Uhrzeit getaktet. Es war eine sehr unschöne Zeit, aber mein Mann und ich waren voller neuer Hoffnung. Ich hatte nicht viele Eizellen, die befruchtet werden konnten. Lediglich zwei waren geeignet. Tatsächlich funktionierte aber die Befruchtung der zwei Eizellen und nach ein paar Tagen wurden sie mir dann endlich eingesetzt. „PUPO!“ (pregant until proven otherwise)

Was für ein Wort. Ich fühlte mich aber schon schwanger. Hoffte sogar, dass es Zwillinge werden. Es wäre ein Traum. Nach den ganzen Strapazen! Aber es kam leider anders. Beide Eizellen haben sich nicht eingenistet. Ein Schlag ins Gesicht. In der Kinderwunschklinik riet man uns dazu, schnell einen neuen Versuch zu starten.

Ich war nun 35. Wir hatten bereits zweieinhalb Jahre Kinderwunschreise hinter uns, zwei Fehlgeburten und eine gescheiterte IVF. Meine Eizellreserve war sehr gering.

Und dann klappte es doch natürlich!

Uns wurde gesagt, dass es mit den ganzen Faktoren unmöglich sei, dass ich auf natürlichem Wege schwanger werde. Nachdem ich mal wieder das Internet unsicher machte, stieß ich auf TCM. Traditionell chinesische Medizin, die bei Kinderwunsch helfen soll. Da alles medizinische mittlerweile abgeklärt war und ich gut mit Medikamenten eingestellt war, dachte ich, das ist der letzte Versuch. Ich habe ja nichts zu verlieren. Ich fand eine großartige Osteopathin und Heilpraktikerin, die auf Fertilitätsmedizin spezialisiert ist. Nach dem Erstgespräch war klar: Sie bereitet mich mit Akupunktur und chinesischen Kräutern für mich und meinen Mann auf die nächste IVF vor. Ende Juli sollte die IVF stattfinden. Und dann -

dann war ich auf einmal Mitte Juli schwanger! Spontan und auf natürlichem Wege. Ein Wunder durch und durch. Und ein Wunder das blieb, trotz Hämatom an der Gebärmutter in der Frühschwangerschaft, Aufenthalte im Krankenhaus, Schwangerschaftsdiabetes und Auffälligkeiten bei den Screenings. Es war eine anstrengende und angsterfüllte Schwangerschaft, aber es war jede Sorgenfalte wert:

Meine gesunde und zauberhafte Räubertochter kommt gerade rein, während ich diesen Text schreibe und begrüßt mich freudestrahlend mit "Mama"! Ich habe Tränen in den Augen. Unsere Maus wurde zu früh, aber gesund, im März 2019 geboren. Unser größtes Glück.

Wir forderten das Schicksal noch einmal heraus.

Nach der Geburt unserer Tochter war uns schnell klar, dass wir einen weiteren Versuch wagen wollten. Mein Mann und ich haben uns immer zwei Kinder gewünscht und wir wussten ja, dass es lange dauern kann, bis man ein gesundes Kind in den Armen halten kann oder auch gar nicht funktionieren kann. Gerade bei unseren eher düsteren Prognosen stand es in den Sternen. Wir wagten es uns starteten relativ schnell wieder und wollten es einfach darauf ankommen lassen, ganz ohne Druck, ganz ohne Planung und Kontrollen, ohne Temperatur messen, einfach so. Entweder es sollte klappen oder nicht. Ein Kind war ja schon ein riesengroßes Glück, wirklich ein Wunder. Nach neun Monaten wurde ich erneut schwanger, auf natürlichem Wege. Das Unmögliche wurde wahr. Wir testeten am 31.12.2019 positiv und waren überglücklich, jetzt sollte es perfekt werden nach der bisherigen Reise. Wir hofften es würde alles gut gehen und wurden durch die Schwangerschaft mit unserer Tochter bestärkt, dass auch diese Schwangerschaft gut werden wird. Ich wünschte mir so sehr eine unbeschwerte Schwangerschaft, die ich bisher noch nicht hatte. Die Schwangerschaft lief dann tatsächlich problemlos und ich war überglücklich. Alles sollte sich endlich zum guten Fügen. Das einzige was wie eine dunkle Wolke über uns schwebte war die Angst, sich mit Covid19 anzustecken oder allein bei der Geburt im Krankenhaus sein zu müssen. Das das aber unsere kleinsten Sorgen sein würde, ahnten wir nicht. Nach einigen wegen Corona abgesagten Urlauben in der ersten Jahreshälfte 2020, wollten wir unbedingt einen Urlaub noch zu dritt machen, ich mit Baby im Bauch, endlich mal einen Urlaub schwanger genießen. Ich war ja jetzt im 8. Monat schwanger, was sollte da noch passieren?

Also fuhren wir im Juni noch an die Ostsee. Leider ist die Welt nicht immer rosarot, sie ist oft unfair und gemein, lacht dir ins Gesicht und tritt dir in den Hintern. Ich hatte eine Vorderwandplazenta und spürte unseren kleinen Mann eh schon nicht so viel, wie unsere Tochter. Aber zwei Tage vor meinem 37. Geburtstag spürte ich ihn gar nicht mehr. Ich redete mir ein, es sei ein Schub. Er wächst sicher nur. Als ich einen weiteren Tag immer noch nichts spürte, suchten wir ein Krankenhaus auf, um sicherzugehen. Mein Mann musste aufgrund der Pandemiesituation draußen warten. Ich lief allein zur Notaufnahme, die mich dann in den Kreißsaal schickten. Hebamme und Arzt waren schnell da und untersuchten mich. Mein Herz schlug bis zum Himmel. Ich redete mir ein, alles sei gut. Ich bin doch im 8. Monat.

Mein Herz raste, seins schlug nicht mehr.

Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Mein Sohn war in meinem Bauch gestorben.

Ich habe zwei wundervolle Kinder. Das sei gesagt. Eines an der Hand und eines im Himmel bei den Sternen. Die Trauer ist riesig und wird nie vergehen. Auf der anderen Seite die Freude und das Glück eine wundervolle Tochter zu haben. Ich liebe sie beide. Sie sind beide Geschenke. Ich wünsche niemandem, das zu erleben, was wir erlebt haben. Aber leider musste ich danach feststellen, dass es so oft passiert. Viele Fehlgeburten, viele kinderlose Paare, viel zu viele Sternenkinder.

Mein Mann und ich haben uns dazu entschieden, nicht aufzugeben, es wird ein weiterer steiniger Weg auf dem Weg zu unserem dritten Wunder. Einige Ärzte sagen, es sei nahezu hoffnungslos: meine Eizellreserve ist mittlerweile ganz erschöpft, frühzeitige Wechseljahre auch. Und dennoch gibt es Leute, die einem die Hoffnung zurück geben. Fachärzte, die einen unterstützen. Heilpraktiker, Hebammen, Freunde und Familie, die sagen, dass das Unmöglich doch möglich ist. Wir müssten doch nur unsere gesunde Tochter anschauen.

Und es stimmt, entgegen der Prognosen hat mein Körper es geschafft, zweimal. Der Körper ist eben doch ein Wunderwerk, der unmöglich Geglaubtes wahr werden lassen kann. Wir werden nicht aufgeben, denn eines hat uns die Vergangenheit gezeigt: Wunder geschehen und vielleicht hat das Schicksal ja ein drittes Wunder für uns vorgesehen.

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Und dafür drücke ich euch von Herzen die Daumen, liebe Julia. Vielen Dank für dein Vertrauen und den Mut. Den du anderen gibst und den du hast.

Wer mit Julia Kontakt aufnehmen möchte, kann dies gern via Instagram tun. Sie heißt dort @le_jule_