Eure Kinderwunsch-Geschichte IV: Eileiterschwangerschaft. Was passiert ist, ist schlimm. Aber es geht weiter.

Ein Text von Ann-Margritt:

Berlin, 01.03.2020 (Edit am 22.10.2020)

Ich glaube, heute schreibe ich den wohl schwierigsten Text meines Lebens und dabei geht es um keine wissenschaftliche Arbeit oder Abschlussprüfung – sondern um meine Eileiterschwangerschaft bzw. „Eileiterruptur“…

Ein Wort, das immerhin mein Computer kennt, denn ich kannte es vorher ein Glück nicht und mir war ebenso wenig klar, in was für einer lebensgefährlichen Situation ich mich noch vor gut einem Monat befand. Ich hoffe, dass dieser Beitrag Euch helfen wird. Zu wissen, dass Ihr nicht alleine seid und dass es manchmal besser ist, auf noch so kleine Signale des Körpers zu hören und schneller um Hilfe zu bitten, als man es vielleicht als nicht-schwangere Frau tun würde. Eventuell erkennt der/die ein/e- oder andere sich ja sogar in meiner Erzählung wieder, wobei ich das eigentlich nicht hoffen möchte.

Es gibt in dieser Geschichte leider kein Happy End im herkömmlichen Sinne, aber ich habe es überlebt, ich bin in der Lage, darüber zu berichten

...und mittlerweile – acht Monate später wieder schwanger und das in der 31. Woche. Ich hoffe, durch diesen Beitrag für das Thema Eileiterschwangerschaft etwas mehr Bewusstsein zu schaffen und Mut zu machen, niemals aufzugeben. Eine Eileiterschwangerschaft lässt sich nicht beschönigen: es ist schlimm, aber es kann passieren. Leider haben wir keinen Einfluss darauf und können so eine Situation nur hinnehmen. Es ist leider normal und es ist okay. Wir müssen nur einen Weg finden, damit umzugehen und Frieden zu schließen, um den Mut nicht zu verlieren. Aber eines kann ich versprechen: dass wir trotz alledem, was wir Anfang diesen Jahren durchgemacht haben, wieder bereit waren und einen neuen Versuch gewagt haben…

Diesen Bericht habe ich ursprünglich für Rosa Koppelmann geschrieben, die das wunderbare Buch „Vertrauen nach Fehlgeburt“ geschrieben hat. Es war für mich eine tolle Chance, mein Schicksal ein Stück weit zu verarbeiten und ein Teil ihrer wichtigen Arbeit zu sein.

Portugal, Januar 2020

Mein Mann und ich waren Anfang dieses Jahres in Portugal, als wir im Nationalpark Gêres erfuhren, dass wir wieder schwanger waren. Wir waren unendlich froh – und gleichzeitig dezent verhalten, hatten wir uns doch ein paar Monate zuvor schon einmal so sehr gefreut, um dann in der 8. Woche die Gewissheit zu haben, dass es keine embryonalen Anlagen gab und ich eine „Windei“-Schwangerschaft hatte. Per Curettage wurde damals die Anlage der Fruchthöhle in der 9. Woche entfernt. Ein Ereignis, welches uns natürlich sehr traurig machte, jedoch leichter zu verarbeiten war, da wir nie die Freude erlebt hatten ein Baby zu sehen. Und die Curettage relativ schnell und ohne Komplikationen überstanden war. Diese zweite Schwangerschaft sollte anders werden – positiver, entspannter und vor allem „ganz normal“. Eben so, wie wir uns eine Schwangerschaft immer ausgemalt hatten. Auch dieses Mal gingen wir sehr offen mit den Neuigkeiten um und weihten peu à peu unsere Freunde ein. Nur den Eltern und der Familie wollten wir es erzählen, wenn wir sie das nächste Mal persönlich treffen würden. Wir unternahmen im Urlaub weiterhin kleine Wanderungen, vermieden weitestgehend Stress und planten nur Dinge, die sich richtig anfühlten. Mir ging es gut, ich fühlte mich wach und positiv, auch wenn ich mir dies zwischendurch immer mal wieder bewusst einredete, vielleicht die Zweifel und Ängste zu überspielen. Auch mein Mann fühlte ähnlich. Wir versuchten, unsere Pläne für die nahe Zukunft selbstbewusst positiv auszudrücken, wie „Wenn dann alles klappt und wenn das Baby im September hoffentlich da ist, dann (…)“. Genau da waren sie, die Zweifel – und besonders ein bestimmtes Wort, welches wir in dieser Zeit noch oft nutzten – „wenn“.

Dieses primär positive, doch auch dezent ängstliche Gefühl hielt auch an, als wir zurück in Berlin waren und der Alltag uns einholte. Mal überwog das eine Gefühl, mal das andere. Bei der Arbeit weihte ich meine engsten Kolleginnen ein, die schon beim ersten Mal mitgefiebert – und mich unterstützt hatten. Selbstbewusst hörte ich mich öfter schon über die kommenden Monate sprechen, wie es aussehen könnte, wie lange ich arbeiten würde, wann ich es dann der Teamleitung sagen würde, usw. Oft schob ich ein „wenn denn alles gut geht“ hinterher. Ich wollte es so gerne selbst glauben. Ich verzichtete aufs Fahrradfahren zur Arbeit, auf Pilates, auf Anstrengungen im Allgemeinen (so gut dies bei einem Vollzeitjob möglich war) und versuchte einmal am Tag zu meditieren.

Bloß alles richtig machen, denn bei der letzten Schwangerschaft bin ich ja eventuell zu viel Fahrrad gefahren, habe mir eventuell zu viel aufgeladen und bin eventuell zu wenig zur Ruhe gekommen, … oder?!

Der erste Termin beim Frauenarzt folgte unmittelbar nach der Reise. Voller Vorfreude saß ich im Wartezimmer. Erinnerungen kamen hoch. Von vor nur ein paar Monaten, als ich bei zwei Terminen in Folge erfuhr, dass noch keine embryonalen Anlagen zu sehen seien. Ich saß mit Herzrasen dort und wartete darauf, aufgerufen zu werden. Natürlich musste ich ausgerechnet an dem Tag 30 Minuten warten und versuchte, mich weiterhin positiv zu stimmen. Ich musste auf die Toilette, wollte aber bereit sein, wenn mein Name aufgerufen wird und so ließ ich es.

Mein Frauenarzt, den ich mittlerweile gewechselt habe, machte einen Ultraschall, um zu sehen, ob man schon etwas erkennen konnte. Er bemerkte meine volle Blase, zeigte mir aber kurz darauf auf dem Bildschirm die Fruchthöhle, die deutlich zu erkennen war, sowie einen kleinen „Quengel“, der die Andeutung des Dottersacks sein könnte. Er versicherte mir, dass alles gut und normal für die 6. Woche aussähe und auch wenn wir noch nicht über den Berg wären, so wären wir auf einem guten Weg. Ich war unglaublich erleichtert und positiver denn je! Es wurde Blut abgenommen und ein neuer Termin für 14 Tage später ausgemacht. Ich ging beschwingt nach Hause. Diese Beschwingtheit begleitete mich durch die nächsten zehn Tage – hier und da ein Ziehen im unteren Bauch deutete ich als „normal“ und nahm mir nach wie vor ausreichend Zeit zur Entspannung. Dann kam der 6. Februar…

Berlin, 06.02.2020

Es ist gar nicht leicht, dieses Erlebnis in die richtigen Worte zu verpacken und dem Geschehen gerecht zu werden. Ich versuche es so:

Nach dem Aufstehen frühstückten mein Mann und ich zusammen, wie an den meisten Tagen. Wir unterhielten uns lebendig und ich fühlte mich gut, wie fast jeden Morgen. Ich machte mich fertig für die Arbeit und ging zur U-Bahn-Station, die etwas weiter weg von der Wohnung lag, um auf meine tägliche Bewegung neben der Büroarbeit zu kommen. Ich lief um die Ecke und bemerkte ein Gefühl im gesamten Bauchraum, welches ich als starkes Pieksen beschreiben würde. Überall verteilt, primär im Vorderbauch, aber auch generell überall unten. Ich holte tief Luft, kannte solches Pieksen auch von vor meiner Schwangerschaft. Vielleicht saß mir das Frühstück noch etwas quer, dachte ich und entschied, noch kurz zu dm zu gehen, um mich mit Nüssen und Saft für den Tag einzudecken. Aus der Hocke kommend, die Nüsse in der Hand, bemerkte ich, wie mein Kreislauf enorm absackte und mir schwarz vor Augen wurde. Kurz darauf setzte ein Fiepen in den Ohren ein. Ich bezahlte schnell und eilte raus. Ich sah eine Holzbank gegenüber von dm vor einer Apotheke und schnell legte ich mich dort hin. Schweiß lief mir über den Körper, mir war kalt und ich fühlte mich nicht gut. Ich rief mein Mann an, der zum Glück noch zu Hause war und bat ihn, mich abzuholen. So konnte ich nicht weiter zur Arbeit. Dies wäre der erste Zeitpunkt gewesen, um einen Krankenwagen zu rufen… doch der Stier, der ich vom Sternzeichen her bin, wollte das nicht. Ich hatte viel zu große Angst vor solchen Situationen.

Ich brauchte einfach nur mein Bett und ein bisschen Ruhe. Kreislauf und Schwangerschaft, das schien doch ebenso „normal“ zu sein, wie hier und da ein Pieksen, dachte ich mir – wie falsch ich lag, wird mir bald bewusst werden. Mein Mann kam schnell mit dem Fahrrad zu mir, schilderte in der Apotheke meine Notlage und fragte nach Traubenzucker. Keiner der Angestellten kam heraus, um nach mir zu sehen. Er hielt meine Beine hoch, während ich den Traubenzucker lutschte und wir überlegten, wie wir am besten nach Hause kommen würden. Wir wollten es langsam zu Fuß versuchen. Als er mir hoch half, schoss ein Schmerz durch meinen Unterleib. Ich nahm diesen zwar wahr, jedoch sackte mein Kreislauf im selben Moment so sehr ab, dass ich nicht weiter drüber nachdenken konnte. Wir gingen ein paar Meter, ich auf ihn gestützt, bis ich mich auf die Straße legen musste. Stur oder ängstlich, wenn es um meine Gesundheit in der Öffentlichkeit geht (je nachdem, wie man es betrachten möchte) bat ich ihn darum, keine Hilfe zu holen. Wir könnten es zu Zweit nach Hause schaffen… Ein Fehler, aus dem wir beide für unser Leben gelernt haben. Wir schafften es ein paar Meter weiter, bis ich mich erneut hinlegen musste – und so bewegten wir uns langsam vorwärts.

Zuletzt lag ich inmitten einer Baustelle. Hier wäre definitiv der zweite Zeitpunkt gewesen, einen Krankenwagen zu rufen. Doch stattdessen bat ich meinen Mann darum, ein Taxi zu rufen, welches mich liegend die letzten 1000 Meter nach Hause brachte. Endlich angekommen (Hinterhaus, erster Stock, nur zugänglich mit Schlüssel oder Code) lag ich im Bett und war erst einmal erleichtert. Vor allem nachdem ich sicherging, dass ich keine Blutungen hatte – von den inneren Blutungen wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nichts. Mein Mann machte mir eine Wärmflasche und fragte besorgt, ob es denn wirklich so ginge. Ich sagte ihm, dass so alles okay sei und ich einfach entspannen müsse. Meinen Kolleginnen teilte ich per WhatsApp mit, dass ich heute zu Hause bliebe. Ich vergewisserte meinem Mann, dass er unbesorgt zur Arbeit fahren könne. Als ich alleine war, ging es mir erst besser bzw. unverändert. Dann jedoch stetig immer schlechter, leider gegenteilig zu dem, was ich mir erhofft hatte. Mein Kreislauf sackte nun auch im Liegen ab. Ich drehte mich im Bett um, sodass ich meine Beine auf das Kopfteil legen konnte. So ging es erstmal. Irgendwann schliefen mir jedoch die Beine ein und jedes Mal, wenn ich ein Bein vom Kopfteil nahm, drohte die Ohnmacht. Dann bekam ich Bauchschmerzen, die zu Durchfall führten. Ich bekam Panik, eilte, so gut es in meinem Zustand ging, ins Badezimmer auf die Toilette.

Auf der Toilette sitzend wurde mir zusätzlich schlecht und der Kreislauf sackte immens ab. Ich schwankte zwischen Kreislaufzusammenbruch und Magen-Darm-Infekt. Ich war mir nicht sicher, wie ich aus der Misslage herauskommen sollte und sehnte mich nach Hilfe. Dies war der dritte Zeitpunkt, einen Krankenwagen zu rufen. Wieso nur habe ich mein Mann gebeten zur Arbeit zu fahren? Wieso nur noch keine Hilfe gerufen? Keine Zeit zu bereuen, musste ich doch von der Toilette runter, und irgendwie in die Waagerechte. Ich schaffte es irgendwie. Ich lag kurz auf dem Badezimmerboden und robbte dann, auf dem Rücken liegend, mit einem Eimer in der Hand, zurück in das Schlafzimmer. Den Oberkörper bloß nicht aufrecht heben, dann wäre die Ohnmacht gewiss. Kaum lag ich im Bett, wieder mit den Füßen auf dem Kopfende, musste ich mich übergeben. Ich war mittlerweile so schwach, dass ich nicht mal mehr telefonieren konnte. Ich schrieb eine Nachricht an meinen Mann und bat ihn darum, wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht sollte ich doch ins Krankenhaus, denn irgendetwas sei wirklich gar nicht in Ordnung. Selber den Krankenwagen zu rufen, wäre keine Option gewesen. Zum einen, weil ich es nicht zur Gegensprechanlage geschafft hätte und zum anderen ist unsere Wohnung für Außenstehende nur per Eingabe eines Tür-Codes zu erreichen. Ich hätte nicht die Kraft gehabt, den Sanitätern die Beschreibung zu geben, geschweige denn, die Tür aufzumachen und zu hoffen, dass sie es reinschaffen würden. Zum Glück sah mein Mann die SMS sofort und rief mich an.

Er bemerkte, wie schwach ich war und bat mich, wach und stark zu bleiben.

Mein Mann mache sich gleich mit dem Taxi auf den Weg und würde aus dem Auto den Krankenwagen rufen.

20 Minuten später war er da. Mittlerweile lag meine gesamte Konzentration darin, meine Füße oben zu halten und dadurch bei Bewusstsein zu bleiben. Geplagt von „Wieso habe ich nicht vorher“- Fragen. Der Krankenwagen und die Feuerwehr kamen kurz nach mein Mann. Die Sanitäter wussten nicht, dass ich schwanger war, obwohl mein Mann es ihnen mehrfach deutlich am Telefon gesagt hatte. Es waren drei Feuerwehrmänner und zwei Notärzte bei uns in der Wohnung – für manche ein Traum, für mich einfach nur eine riesige Hilfe. Die Sanitäter verbrachten rund 20 Minuten damit, meinen Kreislauf in den Griff zu bekommen und mich trotz Schocksymptomatik runter zum Krankenwagen zu bringen. Dank einer Glukoseinfusion und angeschlossen an ein tragbares Herzkreislaufmessgerät, konnte ich letztendlich auf eine Trage gesetzt werden, mit der sie mich runter-schaffen konnten. Ein Moment, den ich wohl niemals vergesse.

Ein Gefühl von ein Tausend Nadelstichen im Gesicht und ich dachte, ich würde im Sitzen ohnmächtig werden. Ich hielt mein Gesicht, während die Sanitäter durchgehend mit mir sprachen. Zum Glück war mein Mann dabei und ich in guten Händen. Mein Mann packte meine Sachen und lief hinter uns her. Als ich im Krankenwagen lag, bekam ich weitere intravenöse Lösungen und eine Wärmedecke gegen den Schüttelfrost. Mein Herzkreislauf beruhigte sich etwas, sodass ich letztendlich mit Puls von 80/45, aber weiterhin mit Schocksymptomatik in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Ich war froh zu wissen, dass mein Mann im zweiten Wagen hinterherfuhr. Jede Bodenwelle ließ meinen Bauch und Oberkörper mehr schmerzen. Jetzt nahm ich diesen wieder wahr.

In der Notaufnahme ging dann alles ganz schnell. Ich hatte eine kleine Hoffnung, dass es doch nichts Schlimmes sei und ich nach einem kurzen Check wieder nach Hause könnte. Ich wurde in einen Schockraum gebracht, wo ich von vielen Leuten gleichzeitig versorgt wurde. Ein Arzt war da, ein paar Helfer und nach kurzer Rücksprache mit den Sanitätern wurden die Gynäkologin sowie ein Chefarzt gerufen. Die Gynäkologin war ungefähr in meinem Alter. Sie blickte mich besorgt an, nachdem sie meinen Bauch abgetastet hatte und fragte mich, ob mein Frauenarzt gesagt hat, dass es eventuell eine Eileiterschwangerschaft sein könne? Ich verneinte und sagte, dass mein Frauenarzt mir versichert hätte, dass alles „normal“ sei. Ich müsste ca. in der 8. Woche sein. Jemand gab mir Sauerstoff. Die Gynäkologin tastete mich nochmal ab. Es tat sehr weh. Überall stach es und ich fing an, mir Sorgen zu machen. Die Gynäkologin veranlasste, dass ein Ultraschallgerät geholt wurde und kurz darauf wurde ich ausgezogen. Meine Kleidung wurde in einen Müllsack gesteckt, sie zogen mir ein Krankenhaushemd an und klebten Elektroden auf Brust und Rücken. Ich hatte einen Pulsmesser am Finger und einen am Ohr. Man untersuche mich per Ultraschall, während meine Unterhose noch an meinem Fußgelenk hing.

Ich versuchte mich auf die Unterhose zu konzentrieren. Was würde mit ihr geschehen? Wird es ihnen auffallen, dass sie noch an meinem Fußgelenk hängt? Ich hatte ausgerechnet heute meine Lieblingshose an.

Die Schmerzen waren unerträglich, als sie das Gerät einführte. Sie sah mich an, dann das Ultraschallbild und ihr entfuhr mehrfach ein „Scheiße…,! Scheiße…!“. Sie sagte, dass ich sehr viel Blut im Bauch hätte und, dass ich dringend operiert werden müsse. Die Schmerzen und inneren Blutungen seien durch eine Eileiterschwangerschaft verursacht und es sähe nicht sonderlich gut aus. Sie fragte, ob ich ganz sicher sei, dass ich von keiner Eileiterschwangerschaft wisse? Sie erklärte mir, dass sie alles versuchen würden, um den Eileiter zu retten, aber dass sie zu diesem Zeitpunkt nichts garantieren könnten.

„Mist! Warum schon wieder so eine Enttäuschung?!“ ging es mir durch den Kopf. Ich resignierte. Ich nahm alles auf, was sie sagte. Es machte mich unglaublich traurig, aber ich hatte zu wenig Kraft, um die Infos richtig zu verarbeiten und mir darüber klar zu werden, was es eigentlich bedeutete. Ich war völlig fertig und weinte. Immer wieder klatschte man mir sachte auf die Wangen und sagte energisch „Bleiben Sie wach, liebe Frau B.!“, „Halten Sie die Augen auf!“ Ich kam mir vor wie in einem Film. Als ob das alles nicht mich betreffen würde. Ich war müde, erschlagen, kaputt und wollte nur die Augen kurz zu machen und mich ausruhen. Ich bemerkte, wie man mich mehrfach piekste, wahrscheinlich, um Blut abzunehmen. Aber scheinbar wollte nirgendwo etwas rauskommen. Mich stach es an der Innenseite vom rechten Handgelenk. Ich sah, wie nun jemand versuchte, dort etwas Blut raus zu bekommen. Mit letzter Kraft hob ich meinen Arm. Mein Handgelenk wurde festgehalten und jemand sagte verschärft, dass sie dieses Blut bräuchten, um meine Blutgruppe zu bestimmen. Ich sagte, dass ich glaube, dass ich 0 negativ sei. „Sie glauben oder Sie wissen? Glauben reicht uns in dieser Situation leider nicht! Wie sicher sind Sie sich?“ Ich sagte ziemlich sicher und dass mein Mann mein Portemonnaie habe, wo meine Blutgruppe drinstünde. Sie holten meinen Mann, der zuvor gebeten wurde rauszugehen, als die gynäkologische Untersuchung begann. Mein Mann sah mich besorgt, aber aufmunternd an. Eine Träne lief über seine Wange, aber er versuchte, stark zu sein. Als ich ihm sagte, dass ich gleich operiert werden müsse und wohl innere Blutungen habe, sagte er „Alles wird gut, das muss jetzt so gemacht werden, sie helfen dir und ich bin da.“ Das tat gut, er streichelte über meinen Kopf, während ich in einer Art Schwebezustand war. Er sagte, dass er meinen Eltern und meinen Kolleginnen Bescheid gegeben hätte und dass sie alle an mich denken. Alles würde gut werden. Ich hatte das Ultraschallgerät noch in mir, als sie meinem Mann den Sack mit meinen Klamotten gaben und ihn baten, rauszugehen. Die Gynäkologin war nicht mehr im Raum, kam aber kurz darauf mit dem Chefarzt wieder rein. Sie klärten mich kurz auf, was mich gleich im OP erwarten würde. Ich musste irgendwas unterschreiben. War meine Unterhose noch an meinem Fußgelenk? Die Blutgruppe schien bestimmt worden zu sein. Zum Glück hatten sie nicht auf mich gehört, denn ich bin 0 positiv, nicht 0 negativ.

Der Chefarzt bat mein Mann noch zwischen Tür und Angel in der Caféteria zu warten. Er würde ihn anrufen und berichten, sobald die OP überstanden sei. Man entfernte das Ultraschallgerät. Dann schoben sie mich raus. Begleitet von der Gynäkologin und zwei weiteren wurde ein freier OP-Saal gesucht. Sie verfuhren sich und ich versuchte zu helfen. Ich wurde aber gemahnt, jetzt ruhig zu bleiben. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hoch und ich sah mich kurz im Spiegel an. Und konnte nicht glauben, was da gerade vor sich ging.

Dann wurde gerannt. Ich wurde vielfach gefragt, ob ich Allergien hätte, ich verneinte. Vergaß dabei meine Essigallergie. Zum Glück war das aber nicht schlimm. Man bat mich darum, den Mund weit aufzumachen, um zu zeigen, dass alle Zähne fest sind. Ich bin mir im Nachhinein nicht sicher, ob ich mir das eventuell nur eingebildet habe. Meine Kraft reichte kaum aus, weshalb ich noch einmal energisch gemahnt wurde den Mund richtig und weit aufzumachen. Dann kam auch schon die Maske auf mich zu und ich sank in einen tiefen Rausch.

Eine Stunde später wurde ich geweckt, erinnere mich aber nur schwach. Man sagte mir, dass ich sehr viel Blut verloren hätte. Ich fragte dies bestimmt noch zwei-, dreimal erneut, da ich mir nicht sicher war, ob ich richtig gehört hatte:

2,5 Liter hatte ich verloren – der weibliche Körper verfügt über fünf bis sechs Liter. Es war sehr knapp. Ich kam in ein Einzelzimmer auf die Intensivstation und sah auf der Uhr, dass es halb vier war. Ich fühlte mich beschwingt, sah jedoch an mir herunter und entdeckte einen Blasenkatheter und eine reichlich gefüllte Wunddrainage. Die Krankenschwester kam rein, um mir meine Fragen erneut zu beantworten, sie war sehr freundlich und geduldig. Nachdem sie nochmal betont hatte, wie viel Blut ich verloren hatte, realisierte ich langsam den Ernst der Lage. Sie holte meinen Mann ab, der zwar schon mit dem Chefarzt telefoniert und erfahren hatte, was gemacht wurde, aber nicht wusste, wo er mich finden konnte. Als ich ihn sah, war ich unendlich dankbar und demütig. Nachdem wir über meine Erfahrungen gesprochen und immer wieder ungläubig den Vormittag bedacht hatten, erzählte er mir nochmal, was der Chefarzt ihm gesagt hatte.

Per Bauchspiegelung hatten sie die Blutung gestoppt und die Eileiterruptur entdeckt. Wir hätten richtig gehandelt, indem wir Hilfe gerufen hatten, aber viel länger hätten wir auch nicht warten dürfen. Wir verbrachten noch gut drei Stunden zusammen, bevor die Besucherzeit zu Ende war. Wir sprachen über Reaktionen der engsten Familie und Freunde, denen mein Mann von dem Vorfall berichtet hatte, und die sich besorgt bei mein Mann zurückgemeldet hatten. Es war wirklich schön zu wissen, dass wir beide in einem tollen Netzwerk verankert sind und dass weder mein Mann, noch ich mit den Sorgen alleine waren. Wir nahmen ein Selfie auf, um dem Ganzen die Schärfe zu nehmen, wobei ich rückblickend betrachtet echt mitgenommen aussah.

Ich hatte einen Riesendurst, auch Appetit und war zu Scherzen aufgelegt. Das lag vermutlich am Morphium, aber vielleicht auch an der Gewissheit, diesen schlimmen Vorfall nun überstanden zu haben. Mein Mann und ich aßen noch zusammen, bevor wir uns mit einem relativ guten und sicheren Gefühl verabschiedeten. Nachdem mein Mann gegangen war, telefonierte ich mit meiner Familie und zwei meiner engsten Freundinnen. Eine von ihnen rief mich zufällig an. Sie hatte mein Foto, was ich aus dem Krankenhaus geschickt hatte, noch nicht gesehen. Es war surreal, ihnen von meinem Tag zu erzählen, als würde ich ihnen eine Geschichte von jemand anderem wiedergeben. Ich schrieb weiteren Freunden und meiner Teamleiterin bei der Arbeit, dass ich im Krankenhaus sei und erstmal nicht zur Arbeit kommen würde. Für die Einzelheiten war ich noch nicht bereit. Ich fühlte mich die ganze Zeit über in guten Händen, das Personal auf der Intensivstation war fürsorglich und empathisch. Sie nahmen sich Zeit und kamen jede Stunde rein, um nach mir zu sehen. Die Nachtschwester kam um 23 Uhr. Ich hörte, wie die Tür zugemacht wurde und sie sich bei der Übergabe über mich unterhielten. Auch hier hatte ich wieder das Gefühl, dass die schlimmen Geschehnisse, die berichtet wurden, nicht mich betrafen.

Dann nahm ich ein lautes Rauschen in den Ohren wahr und ein Pfeifen, das in pulsierenden Wellen durch meine Halsschlagader ging. Es war sehr unangenehm und egal wie ich mich hinlegte oder hinsetze, pulsierte sie. Dann setzten zudem leichte Schmerzen im Brustkorb ein. Ich klingelte in dieser Nacht mehrfach und bat um Schmerzmittel. Das Pfeifen sei eine Nebenwirkung des Blutverlusts und würde wohl noch eine Weile anhalten. Es ähnelte ein wenig einem Sturm, der durch undichte Fenster pfeift. Der Rippenbogen schmerzte in der Nacht sehr und auch mein Hals tat mir weh. Die Nachtschwester kam nun alle 30 Minuten rein, um nach mir zu sehen. An Schlaf war nicht zu denken. Einmal musste ein Arzt kommen, da ich durch die Schmerzen im Rippenbogen keine Luft bekam. Er gab mir Tipps, wie ich liegen sollte. Und ein stärkeres Schmerzmittel. Die Schmerzen kamen von der Bauchspiegelung, bei der mir Gas in den Oberkörper gepumpt worden war, um zwischen die Organe sehen und dann letztendlich endoskopisch operieren zu können. Zum Glück waren Rippen und Hals am nächsten Tag wieder okay.

Morgens kam dann die Visite, eine junge Ärztin, die bei meiner OP dabei war. Sie klärte mich über die Operation auf und beruhigte mich, dass die Halsschmerzen vom Intubieren kamen. Sie erklärte mir, dass sie einen minimalinvasiven Eingriff durchgeführt hätten, wobei sie durch zwei kleine Schnitte (im linken Unterbauch und Bauchnabel) per Laparoskopie zum verletzten Eileiter kommen konnten. Nachdem sie die Blutung gestoppt und das Meiste abgesaugt hatten, war es ihnen möglich gewesen, den Riss zu entdecken. Der Eileiter war in der Zwischenzeit Fingerdick angeschwollen, normalerweise sei es ein sehr zartes Organ, und sie hatten ihn dann weiter aufgeschnitten, um die „Schwangerschaftsreste“ entfernen zu können. Der Schnitt würde von alleine heilen und das Wichtigste, der Eileiter, konnte erhalten werden. Sie klärte mich darüber auf, dass ich wieder schwanger werden könnte, dass aber eine minimal erhöhte Chance bestünde, dass es noch einmal passieren kann. Ich nahm wieder alles auf und erstmal hin, bin aber heute – anderthalb Monate später – noch dabei zu verstehen und zu verarbeiten.

Mein Mann kam direkt am Morgen, er hatte einen riesigen Blumenstrauß mit meinen Lieblingstulpen und einen Brief von seinem Zwillingsbruder und seiner Frau in Australien dabei. Er brachte mir auch für meinen Nachttisch ein Bild von sich mit sowie frische Kleidung, Deo und andere Sachen, um die ich ihn gebeten hatte.

Wir lachten über meine verlorene Lieblingsunterhose, weinten, redeten und er las mir eine Menge Nachrichten von lieben Freunden und seiner Familie vor.

Ich war wirklich froh, dass nicht nur ich so tolle Unterstützung bekam, sondern auch mein Mann. Der Vorfall hatte uns beide ganz schön mitgenommen und während ich im Krankenhaus unterstützt wurde, war mein Mann zu Hause alleine. Er sagte mir, dass meine Eltern bereits auf dem Weg nach Berlin seien und noch am Nachmittag zu mir ins Krankenhaus kämen. Sie würden das Wochenende über bei uns in der Wohnung übernachten, sodass er nicht alleine wäre. Am Nachmittag und nach einer Eiseninfusion kam ich dann auf die Gynäkologische Abteilung. Ein Bettenwechsel, der mich körperlich völlig fertigmachte. Ich hatte kaum Kraft, um von dem einen Bett rüber in das andere zu rutschen und mein Kreislauf drohte erneut abzusacken. Ein Glück bekam ich Mittel gegen Übelkeit und für den Kreislauf. Eine positive Eigenschaft hatte die Situation jedoch: meine Unterhose fanden wir im 1. Bett, fein säuberlich eingepackt, in einer Plastiktüte. Wenn das kein gutes Zeichen war!

Angekommen auf der Gynäkologischen Station richtete ich mich ein und schlief eine große Runde. Mein Mann war nicht in der Lage, zu arbeiten und erledigte ein paar Dinge. Er kam am Nachmittag mit einer enormen Auswahl an Zeitschriften, alle gesponsert von seinen Eltern, die auch in Australien leben, zurück. Am frühen Abend kamen dann meine Eltern, die mir ebenfalls kleine Aufmerksamkeiten und liebe Nachrichten von Verwandten mitbrachten. Sie waren so besorgt losgefahren, dass sie ihre Koffer zu Hause vergessen hatten. Sie waren froh, mich relativ munter vorzufinden und wir verbrachten einen schönen, wenn auch kurzen, Abend zusammen an meinem Bett und waren alle froh und demütig, dass dieses schlimme Ereignis noch glimpflich ausgegangen war. Abends, als mein Mann und meine Eltern weg waren, rief mich noch mein Bruder aus Australien an und danach schlief ich lange, soweit das Pfeifen in meiner Halsader es zuließ.

Am nächsten Morgen ging es mir leider wieder Erwarten sehr schlecht. Ich war schwach, erschlagen, hatte schlimme Kopfschmerzen und einen Tunnelblick. Seitlich sah ich nur schwarze Flecken. Die Chefärztin kam für die Visite rein und war besorgt, dass ich noch immer nicht aufgestanden war. Ich klagte über das Pfeifen in meinen Ohren und in der Halsader und musste weinen. Ich war nur fertig. Sie klärte mich darüber auf, dass der hohe Blutverlust Konsequenzen habe könne. In der OP haben sich die Ärzte bewusst gegen eine Transfusion entschieden hätten, da sie erstmal schauen wollten, ob mein Körper eigenständig das Blut nachproduzieren würde. Meine Werte seien noch so schlecht (mein Hämoglobin-Wert, Hämoglobin ist ein wichtiger Bestandteil der roten Blutkörperchen, war derzeit bei 5. Normal sei bei Frauen 12 bis 16, Konsequenz: eine akute Blutarmut-Eisenanämie), dass wir aufpassen müssten, dass ich keine chronischen Erkrankungen entwickeln würde (z. Bsp. Herzrhythmusstörungen oder Nierenschäden). Sollte ich mich für eine Infusion entscheiden, wären jedoch ein minimales Risiko von HIV oder Blutkrebs vorhanden. Jedoch eine so geringes, dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte. Ich war zu überfordert und emotional, um diese Entscheidung allein treffen zu können. Sie riet mir jedoch zu der Transfusion und einer schnellen Entscheidung. Ich bat darum, meinen Mann und meine Eltern anzurufen, da ich dazu nicht in der Lage sei. Obwohl es außerhalb der Besuchszeiten war, kam mein Mann sofort. Die Ärztin übernahm die Verantwortung, falls das Personal sich echauffieren sollte und wir hörten uns nochmal die Vor- und Nachteile der Bluttransfusion an. Mit meinem Mann an meiner Seite schlief ich ein und als die Ärztin zurück war, entschieden wir uns für die Transfusion.

Mittlerweile sah ich rote Flecken, wenn ich jemandem ins Gesicht sah. Eine Stunde später bekam ich intravenös das Spenderblut. Erst einen Beutel, dann gegen Abend, als meine Eltern zu Besuch waren, den zweiten. Vor den Transfusionen wusch mein Mann mich im Liegen. Es war so selbstverständlich für uns beide, dass es uns zum Schmunzeln brachte. So hatte ich mir immer das sehr späte Rentenalter vorgestellt und ich war so dankbar, wie sehr er für mich da war. Während ich nachmittags noch zu geschwächt für Unterhaltungen und Besuch war (mein Mann hatte meinen Freundinnen absagen müssen, die zu Besuch kommen wollten), konnte ich mich abends mit meinen Eltern und meinem Mann unterhalten und sogar ein wenig essen, das hatte ich an diesem Tag noch gar nicht. Nachdem die drei sich verabschiedet haben, passierte dann das Unglaubliche: Es gelang mir mit Hilfe der Krankenschwester das erste Mal nach drei (!) Tagen aufzustehen. Zwar nur kurz, aber ein Erfolg, der mich vor Freude zum Weinen brachte!

Ich konnte nach der zweiten Transfusion minutiös verfolgen, wie das pulsierende Pfeifen weniger wurde, wie meine Finger abschwollen (meine Ringe hatte ich am Tag zuvor meinem Mann geben müssen, da sie in den Finger einschnitten) und ich zu Kräften kam. Mein Mann hatte in der Zwischenzeit mit unseren Freunden Kontakt, da ich am Tag der Infusion nicht auf mein Handy gucken, geschweige denn irgendetwas planen konnte. Eigentlich wollten mich zwei Freundinnen besuchen, denen mein Mann aufgrund meines Zustands absagen musste. Sie schickten mir stattdessen einen großen Blumenstrauß, Zeitschriften und einen Gameboy mit Super Mario ins Zimmer. Eine Geste, die mich sehr aufgemuntert hat, gerade an diesem schwierigen Tag. Am nächsten Morgen konnte ich nach dem Frühstück bereits ein weiteres Mal aufstehen und mittags sogar mit Hilfe der Schwester ins Badezimmer gehen. Sie entfernte den Katheter und wusch mich, während ich mich darauf konzentrierte, aufrecht stehen zu bleiben. Mir war die Situation sehr unangenehm, aber sie streichelte mir über den Rücken und sagte, dass sie doch dafür da sei und dass ich mich nicht schämen bräuchte. Alle Krankenpfleger waren unglaublich nett und empathisch. Ich bin ihnen noch immer zutiefst dankbar, wie sehr sie sich darum bemühten, dass es mir bzw. uns gut ging. Die Krankenschwester auf der Intensivstation sagte mir zum Abschied sogar, dass es schade sei, dass ich sie schon verlasse, auch wenn es für mich natürlich toll sei. Viele teilten ihre persönlichen Erfahrungen von Fehlgeburten mit mir und sprachen mir gut zu, dass der richtige Zeitpunkt kommen wird und dass ich noch jung sei.

Am Nachmittag kamen mein Mann und meine Eltern mit frisch gekochten Tortellini und einem Laptop mit unseren Bildern aus dem Portugalurlaub. Wir sahen sie zusammen an und schwelgten in Erinnerungen, die mir schon wieder ewig her vorkamen. So viel war in der Zwischenzeit passiert…

Aber nun saß ich da, ohne Katheter, in eigenen Klamotten und aufrecht. Nachdem meine Eltern den Weg in den Norden antraten, kam meine liebste Freundin zu Besuch, brachte nepalesischen Tee mit, den wir mit meiner Zimmernachbarin teilten. Danach kamen noch zwei weitere Freundinnen und am Ende nochmal mein Mann, der noch bis zum Ende der Besucherzeit da blieb. Danach konnte ich das erste Mal wieder meinen Roman lesen, bis ich irgendwann einschlief. Davor vergewisserte ich mich noch, dass ich am nächsten Tag entlassen werden könnte, wenn es mir gut ging – und das tat es!

Am nächsten Morgen wurde mir nach der Visite der Chefärztin, die wahnsinnig froh über meine Fortschritte war, die Drainage gezogen, neue Pflaster auf die Schnittwunden geklebt und ein Entlassungsbrief geschrieben. Ich sollte einen Folgetermin beim Frauenarzt machen. Eine Aufgabe, die mich zwar erneut zum Weinen brachte, denn zurück zu meinem Arzt wollte ich auf keinen Fall, die aber auch neue Chancen barg. Meine Zimmernachbarin empfahl mir ihre Gynäkologin, über die ich mittlerweile zu meiner heutigen fand, mit der ich mehr als zufrieden bin. Ich habe so viel Liebe, Dankbarkeit und Demut erfahren, so viele tolle Menschen haben an mich gedacht, aber auch an meinen Mann und meine Eltern. Wir waren alle nicht allein und füreinander da, auch heute noch.

Ich werde manchmal zweimal in den Arm genommen, einfach, weil mein Gegenüber so überwältigt ist und auch ich nehme manchmal zweimal in den Arm, einfach, weil ich so überwältigt bin. Das Leben ist ein Geschenk, unsere Gesundheit ist so wichtig! Wir sollten immer gut zu uns und unserem Körper sein, ihm keinen unnötigen Schaden zufügen und uns bewusst über dieses eine Leben sein.

Besonders Frauen sind mir in den letzten Wochen sehr empathisch und mitfühlend begegnet, sei es beim Orthopäden, Hausarzt oder bei der Physiotherapie, alles Ärzte, die mein Vorfall mit sich brachte, meine Mutter, oder gute Freundinnen und Bekannte, alle schenken mir ihr Ohr und fragen regelmäßig, wie es mir geht. Aber auch Männer, sei es mein Vater, mein Bruder, Ärzte oder gute Freunde. Ich habe gelernt mit jedem offen darüber zu sprechen, denn eine Schwangerschaft ist etwas sehr Schönes, über die viele Menschen Bescheid wissen, weniger leider jedoch über Fehlgeburten, die dabei fast so alltäglich sind, wie Schwangerschaften. Es dauert seine Zeit, so ein Schicksal zu verarbeiten, für manche geht es schneller als für andere, aber es ist möglich.

Ich hatte mir kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die Hilfe einer Therapeutin gesucht, mit der ich nicht nur mein Trauma, sondern auch die zweite Fehlgeburt verarbeitete und versuchte, dieses Schicksal zu akzeptieren und daran zu wachsen. Als ich die Therapie abgeschlossen und diesen Text geschrieben hatte, wagten wir einen neuen Versuch und ich bin so froh! In knapp 10 Wochen wird unser Regenbogenbaby geboren und ich bin zutiefst dankbar, dass ich endlich eine komplikationsfreie Schwangerschaft erleben darf.

Mittlerweile lässt mich mittlerweile jedes Wetter wieder gut fühlen. Sei es Sonne, Regen oder Wind. Mich werfen immer weniger Situationen oder bedeutsame Lieder aus der Bahn und wenn doch mal, dann ist es okay und ich erinnere mich an den Vorfall und rufe mich zur Vernunft. Denn ich bin so dankbar, weiterhin ein Teil meines Lebens und dieser Welt zu sein! Ich sitze hier, ich atme und ich kann darüber berichten. Wenn ich etwas gelernt habe, dann ist es, dass ich niemals alleine bin, auch wenn ich mich manchmal noch so einsam mit meiner Angst und meiner Trauer fühle, und, dass es völlig okay und sogar so wichtig ist, mit jeder und jedem offen darüber zu sprechen, denn nur so können wir uns selbst helfen. Jedes noch so kleine Signal unseres Körpers ist wichtig, wir sollten uns die Ruhe nehmen, innezuhalten und auch kleine Signale ernst zu nehmen. Wie anfangs erwähnt, gibt es kein „Happy End“ im herkömmlichen Sinne und irgendwie doch.

Was passiert ist, ist schlimm, aber ich kann jedem vergewissern, dass es immer weiter geht – mit dem richtigen Freundeskreis, mit der Hilfe von Familie, mit Hilfe von außen und mit viel Mut.

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Liebe Ann-Margritt, danke für deinen intensiven Text und fürs Teilhaben. Auch an deinem Lebensmut. Ich wünsche dir noch eine weiterhin schöne Schwangerschaft und ein tolles Kennenlernen deines kleinen Happy Ends.

Den Text hat Ann-Margritt ursprünglich für das Buch "Vertrauen nach Fehlgeburt" verfasst und hat ihn mir hier für euch zur Verfügung gestellt. Wer sich mit Ann-Margritt austauschen will, kann das gern über ihren Instagram-Account @aenntzy tun.