Ein Text von Lea:
Unsere Kinderwunsch-Geschichte begann noch vor unserer Ehe. Noch vor unserer Beziehung. Viel eher - meine Kinderwunsch-Geschichte. Aber als Paar ist man ja doch irgendwie eins. Auf der romantisch verbundenen, naiven und schönen Ebene.
In meiner Jugend hatte ich oft starke Unterleibsschmerzen. Zysten waren mehrmals Thema. Und leider mehrmals auch so groß, dass sie operativ entfernt werden mussten. In meinem Fall hatten sie es sich an den Eileitern immer besonders bequem gemacht. Durch zusätzliche Entzündungen war es schwierig, sie ohne eine große Schädigung zu entfernen. Aber wir Frauen sind ja im besten Falle mit zwei funktionierenden Eileitern ausgestattet. Also so what. Das dachte auch eine Ärztin, als sie mir nach einer weiteren OP ganz nebenbei mitteilte, dass der eine Eileiter leider so beschädigt wurde, dass er wohl nicht mehr funktionsfähig sein würde. Dass ich so etwas Jahre zuvor schon über die andere Seite gehört hatte, wusste sie nicht. Und so saß ich allein im Krankenhauszimmer. Mit siebzehn Jahren. Mit dem Wissen, dass es später vielleicht schwerer werden würde - das Ding mit dem schwanger werden. Den Partner dazu hatte ich noch nicht. Und ja, ich war eben erst siebzehn und irgendwie traf es mich damals noch nicht wirklich. Nicht mit voller Wucht. Nicht so, wie knapp zehn Jahre später.
Verdrängt hatte ich die Information von damals nicht. Aber ich hatte sie auch nicht als worst Case-Szenario interpretiert.
(By the way - das würde ich auch heute nicht).
Irgendwann dann, als ich Roman wieder traf und wir zusammen kamen, wurde das Gesagte von damals immer präsenter. Und so war ich schon zu Anfang unserer Beziehung ehrlich und erzählte von den "eventuellen", "möglichen" Schwierigkeiten, die wir haben "könnten". Aber was immer klar war - wir schaffen es. Zusammen. Und es wird gut werden. Egal, wohin der Weg uns führt.
Die kirchliche Hochzeit rückte näher und ein paar Wochen zuvor ließen wir die Verhütungsmittel weg. Denn sollte es sofort klappen, würde ich, rein rechnerisch, ja immer noch in mein Kleid passen. Ha. Ha. Pessimistisch eingestellt waren wir nicht. Es hätte ja wirklich klappen können. Eine Schwangerschaft ist schließlich ein Wunder.
Bei uns blieb aber nicht nur das Wunder aus, sondern auch meine Periode.
Meine Frauenärztin stellte eine Hormonstörung fest, die meinen Körper daran hinderte, reife Follikel zu produzieren (PCO-Syndrom). Mit diesem Wissen und den schwammigen Aussagen der Ärzte von früher schickte sie mich für eine Prüfung der Eileiterdurchgängigkeit in ein Krankenhaus.
Am 13.02.2017 war es dann so weit. Nach fast zehn Jahren hatte ich Gewissheit. Es würde auf natürlichem Weg nicht klappen.
Ich entließ mich noch am gleichen Abend selbst und fuhr mit meinem Mann nach Hause. Hatte Schmerzen. Schmerzen, die nicht nur vom Eingriff her rührten. Und ich fühlte mich schrecklich. Schrecklich, weil ich meinem Mann einen Weg aufdrückte, den er selbst so vielleicht hätte nie durchlaufen müssen - ohne mich.
Es traf mich. Für ihn. Für mich. Für uns.
Nach all den Jahren, in denen ich doch eigentlich instinktiv damit gerechnet hatte. Doch scheinbar war da immer ein kleiner Funken Hoffnung geblieben. Der aber dort, im Krankenhaus, im Bett, nach dem Eingriff, erstickt wurde. Und alles fühlte sich unfassbar schwer und trist an.
Ich gab mir die Schuld an allem. An der gesamten Situation. Ertrug es nur schwer, schwangere Frauen zu sehen und hasste mich für die fehlende Freude ihnen gegenüber. Ich mochte mich nicht mehr. Als Mensch. War festgefahren und verbittert. Wollte am liebsten keine schwangeren Frauen sehen. Weder Freundinnen. Noch fremde Frauen auf der Straße, noch im Fernsehen. Und das ärgerte mich. Machte mich fertig und ja, kotzte mich unendlich an mir selbst an.
Ich suchte nach Gleichgesinnten. Musste mich austauschen. Und Mut sammeln. Brauchte Erfahrungsberichte und Leute, die mir Halt gaben - Leute, die in der gleichen Situation waren. Und so lernte ich hier, über Instagram, in dieser riesigen Bubble von Kinderwunsch-Krieger*innen tolle Menschen kennen.
Es verging etwas über ein halbes Jahr als wir dann endlich einen Termin in einer Kinderwunschklinik vereinbarten. Geheilt vom ersten Schmerz. Bis dato immer noch "unschwanger" und mit relativ wenig Zyklen.
Total aufgeregt saßen wir Wochen später in einem kleinen Büro, sprachen mit einer netten Ärztin über unsere Situation und bekamen prompt einen Behandlungsplan in die Hand gedrückt. Ja! Es sollte voran gehen. Und klappen. Ich wusste es. Ich glaubte daran. War selten so optimistisch. Also raus aus der Klinik, rein in die Apotheke nebenan. Und zack - ein paar hundert Euro ärmer.
Es sollte los gehen.
Tägliches Spritzen, mehrere Ultraschalltermine und einen weiteren Eingriff später, sollte es soweit sein. Meine entnommen Follikel wurden befruchtet und entwickelten sich großartig. Am fünften Tag wurden mir zwei perfekt entwickelte Blastos eingesetzt. Ich war schwanger - zumindest Pupo (Pregnant until proven otherwise).
Die ersten Tage merkte ich ein leichtes zwicken im Unterleib und wusste, durch Erfahrung anderer, dass das bei vielen Frauen das Gefühl der Einnistung war. Nach bereits einer Woche bekam ich allerdings Blutungen und hatte die Vermutung, dass diese kleinen, perfekten Blastos nicht bei mir bleiben würden. Der Schwangerschaftstest in der Klinik bestätigten meine Gedanken ein paar Tage später.
Es hatte nicht geklappt. Noch nie kam mir ein November so kalt und trist vor. Noch nie fühlte sich ein Winter so endlos an.
Wie sollten wir weiter machen? Direkt einen neuen Versuch? Oder erstmal den negativen Test verarbeiten? Wunden heilen lassen? Ja, heilen klang gut. Zeit nehmen. Für uns.
Wir beschlossen, das ganze nochmals zu versuchen, wenn es sich für uns richtig anfühlte. Wir würden schon merken wenn wir wieder bereit wären. Und es vergingen Tage. Wochen. Monate. Irgendwann sogar ein Jahr.
Ein Jahr, in dem wir uns Zeit nahmen für uns. In uns nach einer Lösung suchten. Auf unsere Gefühle vertrauten und warteten. Auf das Gefühl von einer starken, festen Entscheidung, die sich richtig anfühlen sollte. Und dieses Gefühl kam. Am Anfang ganz leise. Sanft. Bei Roman. Bei mir. Ein Gefühl von innerer Zufriedenheit und Akzeptanz. Ein Gefühl von Wärme. Ein Gefühl was wir so nicht erwartet hatten. Ein Gefühl dass uns zu verstehen gab, dass das nicht unser Weg sein sollte. Dass wir nicht wieder in eine Kinderwunschklinik gehen würden. Dass unser Kind nicht unsere Gene haben muss.
Und irgendwann, nach einem Jahr sprachen wir es aus.
Wir wollten adoptieren. Das sollte unser Weg sein. Er sollte es einfach sein. Weil sich kein Tag vorher so richtig angefühlt hatte. Keine Spritze. Kein Ultraschall, kein Schwangerschaftstest. Nichts hatte sich so richtig und wichtig angefühlt, wie die Entscheidung der Adoption.
Nachdem uns das klar wurde, vereinbarten wir sofort einen Termin beim Jugendamt und waren voller freudiger Erwartungen. Wir durchforsteten das Internet nach Informationen und Erfahrungsberichten. Festigen unseren Wunsch und schlugen zwei Wochen später, überpünktlich, total nervös beim Jugendamt auf. Zum Infogespräch.
Wir fühlten uns direkt wohl. Hatten zwei sehr empathische Sachbearbeiterinnen die uns alles erklärten und verließen bestärkt in unserer Entscheidung das Gebäude. Das war er. Unser Weg. So sollte es sein.
Nachdem wir alle Unterlagen zusammen hatten, hieß es warten. Polizeiliche Führungszeugnisse und Lebensberichte mussten erst einmal geprüft werden. Als zehn Tage später der Anruf kam, dass alles in Ordnung ist, starteten wir mit den Gesprächsterminen.
Termine bei denen uns unsere Sachbearbeiterin besser kennenlernt sollte. Wir sprachen über unsere Familien, über Erziehung und wie wir sie erlebt hatten, über den Kinderwunsch, die Heilung, über die Vorstellungen einer Familie, über unsere beruflichen Situationen und vieles weitere. Wir schlugen jedes Mal mit einer großen Kanne Tee auf. Das Gefühl von Gemütlichkeit war uns wichtig. Ja, auch dort. Beim Jugendamt. Oder vielleicht auch genau da. Vielleicht gerade beim Jugendamt. Und unsere Termine vergingen. Oft verbrachten wir pro Termin zwei bis drei Stunden dort und die Zeit stand jedes Mal irgendwie still.
Am 13.02.2020 hatten wir dann unseren letzten Termin. Genau drei Jahre waren vergangen. Auf den Tag genau. Drei unvorstellbar lange, zähe Jahre voller Kummer der sich endlos anfühlte. Drei Jahre in denen wir Leere und eisige Kälte spürten. Und Wärme. Wärme die erst ganz klein, kaum merklich war. Und irgendwann so stark wurde, dass wir wieder Vertrauen fassen konnten. In uns. In unser Glück. Und auch irgendwie in das Universum. Wir durchlebten eine intensive Zeit als Paar, die uns oft zweifeln ließ. Die uns verunsicherte. Traurig machte. Ratlos. Aber auch eine Zeit, die uns zusammenbrachte. Die uns ein Team werden ließ. Stärker. Einfühlsamer. Verletzlicher. Die uns unsere Liebe zeigte. Unsere Kraft. Unsere Ausdauer. Unseren Mut.
Wir hofften nicht auf einen schnellen Anruf vom Jugendamt. Setzten uns mit weiteren ein bis zwei Jahren der Wartezeit auseinander. Und waren damit vollkommen im Reinen. Als dann auf einmal nach fünf Tagen der Anruf kam.
Am 18.02.2020 erblickte unser wunderschöner, perfekter Sohn das Licht der Welt und ließ uns die letzten drei Jahre zwar nicht vergessen, aber gab ihnen einen Sinn.
Wir sind glücklich. Und jeder Rückschlag, jeder negative Test, jeder steinige Berg war richtig. Alles war richtig. Gehörte dazu. Zu uns. Zu unserem Weg.
Und auch heute noch fühle ich mit jeder Frau, mit jedem Mann, mit jedem Paar, wenn ich höre, dass sie vergebens auf ihr Wunder warten. Denn es ist schwer. Es ist hart. Verletzend und wirklich eine Zerreißprobe. Aber fühlt! Egal was, lasst es zu. Es hilft. Ihr seid nicht alleine.
Und manchmal ist das Herz auf einmal bereit für einen anderen Weg. Ohne Druck. Ohne Kälte. Gebt euch Zeit. Und Liebe.
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Danke für deine berührenden Zeilen, deine Hoffnung und deinen Mut, Lea. Ich habe mehrfach Gänsehaut bekommen. Und Tränen stiegen in meine Augen. Gleichzeitig. Ich freue mich unglaublich für und mit euch. Für euch und Anton.
Wer Kontakt mit Lea aufnehmen möchte, kann sich gern bei ihr melden. Auf Instagram ist sie unter leisa_lotte aktiv.