"Bye bye, mein Schatz, Mama kommt wieder. So, wie gestern und vorgestern."
Donnerstag, 26.09.: Und jetzt sitze ich hier. Im Kindergarten. Vor dem Raum, in dem du jetzt bist. In der bunten Garderobe mit den kleinen süßen Fächern. Jedes mit einem Namen und Foto versehen. Du hast auch schon ein Fach. Aber es ist leer. Ich sitze hier schon seit fast 30 Minuten. Um mich herum Kinderstimmen, Grießbreigeruch und Spielzeug. Zucke zusammen bei jedem Weinen.
Und bin erleichtert, dass du es nicht bist. Dass es dir gut geht. Und damit geht es mir gut. Und viel besser, als ich es mir je erträumt habe. In meinen ursprünglichen Vorstellungen sitze ich da und weine. Du weinst. Alles fühlt sich furchtbar an. Mein kleines Mädchen, nicht mehr 24/7 die schützende, meine, schützende Hand über dir. Gedankenwirwarr. Hin- und hergerissen sein. Vielleicht sogar abbrechen, falls es nicht klappt. Aber. Für den Moment kann ich sagen: Es fühlt sich gut an. Für mich und für dich. Mit den drei Erziehern und den zehn anderen kleinen Mäusen, die du ab jetzt jeden Tag sehen wirst. Die vielleicht deine Freunde werden. Mit denen du spielst, lachst, singst, tanzt. Aber sicher auch mal streitest, aneinandergerätst. Mal gewinnst, mal verlierst. Das empfinden wir als wichtig für dich. Und das macht es leichter für mich. Dich loszulassen. Ein bisschen zumindest. Nach 19 Monaten 24/7 zusammen.
Jetzt bröckelt alles. Die coole Fassade. Und mein Herz.
Freitag, 27.09.: In meinen Augen sammeln sich immer wieder Tränen. Mein Augen Make-Up ist verschmiert und mein Herz ein bisschen gebrochen. Ich habe gestern wahrscheinlich schon erahnt, dass es so wie gestern nicht selbstverständlich weitergehen wird. Eben hast du bei unserer Verabschiedung so sehr geweint, dass ich fast einfach da geblieben wäre. Dich im Arm haltend und tröstend. Und fast selbst angefangen hätte, zu weinen.
Dass ich dennoch gehen musste. Dir, obwohl du so traurig warst, den Rücken zukehren musste. Vor dir stark und positiv bleiben musste. Das ist hart. Und es tut weh. Und dann stand ich im Flur. Wie gelähmt. Hab mich gefühlt wie Falschgeld. Und, 20 Sekunden später, hast du aufgehört, zu weinen. Endlich. Es kam mir vor, wie eine Ewigkeit. Ich habe immer versucht, einen Blick auf dich durchs Glasfenster an der Tür zum Krippenraum zu erhaschen. Dann kam die Köchin, um die Kinder zu zählen. Wie gestern. Da hatte sie aber schon etwas Grießbrei auf dem Tablett. Heute habe ich das gar nicht wahrgenommen. Sie nur gleich darum gebeten, nach dem Mädchen im braunkarierten Hemd zu schauen. „Alles gut.“ Die besten zwei Wörter. Besser, als Taschentücher. Kurz darauf kam auch die Bezugserzieherin unserer Tochter aus dem Raum. Um mich zu beruhigen. Und kurz in den Arm zu nehmen. Bisher war ich schon ungewohnt cool. Jetzt bröckelt alles. Die coole Fassade. Und mein Herz.
Und ich frage mich:
Wie soll ich dich bitte (jemals) loslassen können?
Bevor ich im Februar 2018 Mama geworden bin, konnte ich bei weitem nicht fassen, wie sehr man lieben kann. Wirklich. Diese Liebe übersteigt meine Vorstellungskraft. Überhaupt: Vieles versteht man erst, wenn man selbst Mama ist. Ich habe beispielsweise insgeheim früher meine Freundinnen (lieb!) belächelt, denen die Eingewöhnung so schwer gefallen ist. Die nur noch darüber reden konnten. Sich Gedanken machten. Und: Ich hatte einfach keine Ahnung davon, wie es sich anfühlen wird. Woher auch. Und dann wurde ich Mama. Und ich hatte einfach keine Ahnung davon, wie schwer es sein wird, irgendwann ein bisschen, immer ein bisschen mehr, loszulassen. Aber, vor dieser ersten Trennung kann man sich nicht verstecken. Keiner.
Und naja, jetzt wird mein kleines Mädchen seit knapp zwei Wochen in die Krippe eingewöhnt. Und: Ja, so ein bisschen werden wir dadurch voneinander entwöhnt. Auch, wenn wir die Zeit, die wir dann zusammen haben, intensiver nutzen werden. Das ist mir bewusst. Aber ganz faktisch: Es wird weniger Zeit. Es ist unsere erste richtige Trennung. Und sie wirkt so abrupt. So plötzlich kommend. Wie ein riesiger Berg. Der mir Angst macht. Die ich aber nicht haben muss, beruhigt mich Heike Kuhl als systemischer Familiencouch für Fisher Price. Ich durfte ihr vor dem Eingewöhnungsstart unserer Tochter Fragen zum Thema stellen und teile hier gern ihre Antworten:
"(...) bedenke, dass es für euch beide kein krasser Schnitt ist, sondern ein langsames Heranführen, in das ihr beide reinwachsen dürft. Langsam, Schritt für Schritt. Eure Tochter und auch du, dürft euch langsam an das Neue gewöhnen. Die Eingewöhnung ist nicht nur für sie, sondern auch für dich als Mutter. Und in der Regel sind die Erzieher daran gewöhnt. Schau also bei der Eingewöhnung auch, was für dich passt und was du brauchst. Konzentriere dich auf das, was gut daran ist. Du hast ja einen Grund, warum du euer Kind jetzt in die Kita gibst."
Ja, den haben wir. Seit Monaten bekomme ich dennoch allein beim Gedanken daran Gänsehaut. Und es sammeln sich Tränen in meinen Augen. Weine beim Kennenlerngespräch in ihrem zukünftigen Gruppenraum. Zähle die Monate runter, die es noch dauert, bis sie in die Kita geht. Platze nicht vor Freude, als wir einen Kitaplatz bekommen. Weil: Jetzt wird es real. 19 Monate zusammen. Und jetzt soll ich sie einfach loslassen? Bin bald nicht mehr immer die erste, die ein neues Wort hört? Weiß nicht, durch welchen Vorfall welche kleine Verletzung kommt? Kann ihren Tagesablauf nicht mehr minutiös nacherzählen? Vertraue das Wertvollste in meinem Leben mir unbekannten Personen an? Deshalb habe ich Heike Kuhl gefragt:
Wie kann ich ruhigen Gewissens loslassen? Die Kita und die Erzieher haben mir ein gutes Gefühl gegeben. Aber natürlich ist es ein eigenartiges Gefühl, dass das eigene Kind von anderen Personen betreut wird. Vielleicht geschubst wird. Weint und nicht gleich kann jemand reagieren. Haben Sie Tipps dafür?
Schau dir genau an, was deine Gedanken, Sorgen und Ängste sind. Was brauchst du, um loslassen zu können? Was musst du noch von den Erziehern wissen? Oder was erwartest du von den Erziehern? Was willst du ihnen mitteilen? Zum Beispiel: Wann willst du, dass sie dich worüber informieren?
Und ich kann nun aus eigener Erfahrung sagen: Es tut wahnsinnig gut, zu sehen, wie emphatisch ihre Erzieher reagieren. Wie liebevoll. Und wie kompetent. Ich bin sehr froh, die Eingewöhnung begleiten zu dürfen. Denn sie gibt auch mir Sicherheit. Auf jeden Fall würde es schneller gehen, wenn Philipp unsere Tochter eingewöhnt.
Das bricht mir allein beim Gedanken daran das Herz
Aber „schnell“ ist kein Adjektiv, was für uns im Zusammenhang mit ihrer Eingewöhnung zählt. Ich möchte und muss unsere Tochter dabei begleiten. Ich möchte ihr Umfeld kennenlernen. Wissen, wie das Mädchen heißt, mit dem sie sich so gut versteht. Wissen, wie der Stuhl aussieht, auf dem sie jeden Tag sitzt. Wissen, wie die Lieder gehen, die im Morgenkreis gesungen werden. Wissen, wie die Erzieher reagieren, wenn ein anderes Kind geschubst wird. Und, ob sie es sehen. Das ist nämlich eine meiner größten Ängste. Das mein kleines Mädchen verletzt wird. Und ich weiß, dass es irgendwann passieren wird. Und das bricht mir mein Herz. Schon jetzt. Und genau das habe ich angesprochen. Und bin dabei in Tränen ausgebrochen.
Wie reagiere ich in der Eingewöhnung, wenn ich etwas sehe, was mir gar nicht gefällt? Wenn ich auf einmal ein schlechtes Gefühl bekomme?
Sprich es direkt an und frage nach. Am besten wenn euer Kind spielt und du kurz mit den entsprechenden Erziehern sprechen kannst. Frage so lange, bis du ein gutes Gefühl hast, bzw. sage was dir wichtig ist, was du willst und was du nicht willst. Denn für eure Tochter und auch für die Erzieher ist wichtig, dass es dir damit gut geht, damit sie eine Chance haben.
Die Bezugserzieherin reagierte sehr einfühlsam auf mich und meine Ängste. Und hat mir versprochen, dass sie auf unsere Tochter aufpasst. So, wie auf jedes andere Kind. Und damit geht es mir tatsächlich besser.
Lachen und Weinen. Und das gleichzeitig.
Das Adjektiv "schnell" spielt außerdem für uns keine Rolle, da es kein Wettbewerb ist, wie lange die Eingewöhnung dauert. Wir haben Zeit. Und, um Gottes Willen, ich weiß, dass das ein enormer Luxus ist. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass es egal ist, ob die Eingewöhnung drei Wochen oder zwei Monate dauert. Dass es immer einen Plan B gibt, wenn wir uns letztendlich doch mit der Gesamtsituation nicht wohl fühlen. Dann bleibt unsere Tochter bei mir. Zu Hause. Es ist eine Achterbahn. Eine Achterbahn der Gefühle. Bisher, für mich. Und für sie auch. Da bin ich mir sicher. Freude und Trauer, Lachen und Weinen, das lag noch nie so nah aneinander. Ich war selten so hin- und hergerissen.
Und, ich weiß, es ist ein sehr emotionales Thema. Kita ja oder nein, und wenn: Wann dann? Nicht jeder kann es sich aussuchen. Aber so wie bei allen (!) Themen gilt: Es ist am wichtigsten, einfach auf seinen elterlichen Instinkt zu hören. Ratschläge von externen Quellen oder auch Vergleiche (Sternchen XY123 auf Instagram lebt aber kitafrei! Und schafft jeden Tag zwei Blogposts, obwohl sie iPads und andere digitale Medien, so schreibt sie ;), verteufelt! Wie macht sie das nur?) sorgen dabei bei einem Großteil aller Eltern für Angespanntheit und oft auch für ein schlechtes Gewissen. Das bestätigt eine global durchgeführte Studie von Fisher Price, in der 400 Eltern aus Deutschland online befragt worden sind. Nur ihr allein wisst am besten, warum oder warum nicht ihr euch für welches Betreuungsmodell entscheidet. Nur ihr seid die Eltern von eurem Kind (so lustig, ist es doch so klar!). Und nur ihr seid die besten Eltern für euer Kind.
Wir haben das Gefühl, dass es das Richtige ist, dass unsere Tochter jetzt in die Krippe geht. Sonst würde sie nicht gehen.
Bei allem Hin- und Hergerissensein: Wie mir aber Heike Kuhl riet, ich solle mich auf das Konzentrieren, was gut ist. Denn ich habe ja einen Grund, weshalb unsere Tochter jetzt in die Kita geht. Genau. Denn ich weiß ja: Es wird gut für sie sein. Und auch für mich. Einfach mal in Ruhe einen Kaffee trinken. Etwas schaffen. Effektiv sein. Und dann hole ich mein Baby nach dem Mittagsschlaf ab und wir haben den halben Tag nur noch Mama-Tochter-Zeit. Jeden Tag. Ohne, dass ich noch auf diese oder jene Mail antworten oder den Geschirrspüler anmachen muss. Und die kleine Maus wird anders gefordert und gefördert. Ihr wird und gefällt es schon gut. In der "Kiiiitaaaa". Die kleine Maus, die uns schon sieben Uhr weckt mit "huiui" und ihre Schuhe holt. Die andere Kinder so sehr liebt. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das Gefühl hätte, ich würde ihr etwas vorenthalten, wenn wir diesen Schritt nicht gehen würden. Dass es egoistisch von mir ist, wenn ich mich nicht trennen kann. Mal kurz zumindest.
Und, jetzt sind wir seit Freitag bei 45 Minuten, die wir uns getrennt haben. Im Vorhinein der Eingewöhnung habe ich mich oft gefragt, ob ich uns noch irgendwie auf den Krippen-Start vorbereiten kann. Wie ich unserer Tochter helfen kann. Damit alles leichter wird.
Wie kann ich unserer Tochter die Sicherheit vermitteln, dass ich immer wieder komme?
Wie gesagt, die Eingewöhnung passiert langsam. Schritt für Schritt. Manche Kinder lassen sehr schnell von den Eltern los und andere brauchen länger. Verlasse dich darauf, dass eure Tochter zeigt, wie schnell es für sie in Ordnung ist. Das heißt, sie lernt ganz langsam, dass sie sicher sein kann. Mama geht raus und kommt nach kurzem wieder. Und der Prozess wird immer wieder wiederholt und langsam vergrößert. Das heißt du brauchst ihr nicht die Sicherheit vermitteln, sondern sie wird die Erfahrung machen, dass du immer wieder kommst. Und sie bestimmt die Geschwindigkeit. Sie lernt also, dass sie sich darauf verlassen kann. Wichtig ist nur, pünktlich zu sein.
Das bin ich eigentlich nie. Aber bei dir bin ich es. Versprochen. Und jetzt lasse ich dich los. Nur ein bisschen. Nur so, wie es sich für uns beide gut und richtig anfühlt.
"Bye bye, mein Schatz, Mama kommt wieder. So, wie gestern und vorgestern. Und morgen und übermorgen. Und immer. Für immer. Mama lässt dich nie allein."
Und, ja, jetzt füllen sich meine Augen wieder mit Tränen. So ehrlich muss und kann und soll man sein.
*In freundlicher Zusammenarbeit mit Fisher Price.